Wahlplakat der FDP von 1949
Wahlplakat der FDP von 1949

In den nächsten vier Jahren wird in Berlin auf der Grundlage des Koalitionsvertrags zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP regiert. Zwar ist die FDP die kleinste der drei Parteien, jedoch ist es ihr gelungen, dem Vertragswerk ihre Handschrift aufzudrücken. Da stellt sich die Frage: Was ist das eigentlich für eine Partei, die gerade bei Jüngeren und Erstwählern überdurchschnittlich abschneidet?

Dazu ein Blick nach Nordrhein-Westfalen (NRW). Christian Lindner, der Bundesvorsitzende und jetzt Bundesfinanzminister kommt aus diesem größten Landesverband. Der Landesverband ist sehr einflussreich und mit weiteren wichtigen Posten in der Regierung und im Bundestag vertreten. Um nur einige Namen zu nennen: Marco Buschmann ist Justizminister, Johannes Vogel erster parlamentarischer Geschäftsführer und Alexander Graf Lambsdorff stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Seit vier Jahren ist die Partei außerdem an der CDU-Regierung in NRW beteiligt. So gut sah das alles nicht immer aus.

Sogenannte liberale Gruppierungen taten sich Ende der vierziger Jahre eher schwer, einen gemeinsamen organisatorischen Rahmen und das passende Wählervolk zu finden. CDU/CSU und SPD waren bereits im bürgerlichen Parteienspektrum präsent. Und große Teile der ehemals nationalsozialistischen Bevölkerung hatten erst mal die Schnauze voll von politischer Betätigung. Man haderte mit der Niederlage, konnte sich mit der neuen Situation nicht so recht anfreunden und war vor allem mit existenziellen Problemen beschäftigt. Nicht wenige befürchteten zurecht, für ihre Untaten in der Nazizeit belangt zu werden.

Während die liberalen Kräfte in den südwestdeutschen Ländern und in Hamburg ihren Schwerpunkt auf eine wirtschaftsliberale Orientierung legten, war in NRW, Niedersachsen, Hessen und Schleswig-Holstein ein national(sozial)istischer Flügel dominant. Dieser agitierte aggressiv gegen Entnazifizierungsmaßnahmen und Entschädigungszahlungen für NS-Opfer. Zentrum des ultrarechten Flügels war der einflussreiche NRW-Landesverband, dessen Vorsitzender Friedrich Middelhauve die Partei systematisch für hochrangige Nazis öffnete und ihnen wichtige Parteiämter verschaffte. Sein Ziel war es, eine Kampagne zu starten, um eine Generalamnestie für Kriegsverbrecher zu erreichen. Dahinter stand die Strategie, nach Erreichen dieses Ziel, viele von den Profiteuren der Amnestie für die FDP zu gewinnen. Seine wichtigsten Helfer waren zwei ehemalige Nazifunktionäre, die in der Szene über hohes Ansehen verfügten: Ernst Achenbach und Werner Best. In Paris war Achenbach maßgeblich an der Verfolgung und Deportation der jüdischen Bevölkerung im besetzten Frankreich beteiligt gewesen. Dabei hatte er eng mit Werner Best zusammengearbeitet, dem Verwaltungschef des Militärbefehlshabers in Frankreich. Über diese beiden gelang es Middelhauve die sog. Naumann-Gruppe in das Vorhaben einzubeziehen.

Wer war Werner Naumann? Er hatte hohe Positionen in der SS inne und war in Hitlers Testament zum Nachfolger von Goebbels bestimmt worden. In der Naumann-Gruppe versammelten sich hochrangige Nazikader. Zu Beginn der fünfziger Jahre besetzten Leute aus diesem Kreis mit Billigung der jeweiligen FDP Führung wichtige Posten in NRW und Niedersachsen. Es sollen im hauptamtlichen Apparat der Landesorganisation in NRW bis zu 90 Prozent ehemalige Aktive der NSDAP gewesen sein. Das konnte alles nicht unbemerkt bleiben. Doch nicht nur die FDP war an prominenter Stelle von (ehemaligen) Nazis durchsetzt, auch die CDU und CSU waren bei der Suche nach Mitgliedern und Funktionären nicht wählerisch.

Schließlich sah sich die britische Hohe Kommission, die bis 1955 berechtigt war, in innenpolitische Vorgänge einzugreifen, gezwungen, im Januar 1953 Naumann und fünf seiner Gesinnungsgenossen festzunehmen. Das kam in der Öffentlichkeit nicht gut an, denn lt. einer Umfrage der New York Times wollten zu dieser Zeit immer noch 44 Prozent der Westdeutschen am Nationalsozialismus „mehr Gutes“ erkennen.
Wie endete die Affäre Naumann? Ziemlich sang und klanglos. Schließlich ging es zunehmend um die Remilitarisierung der Bundesrepublik. Und Antikommunismus war seit '33 Staatsdoktrin. Allerdings war der Versuch, eine rechte Massenpartei unter dem Dach der FDP aufzubauen, gescheitert. Es war den christsozialen Parteien bereits gelungen, das rechte Wählerpotential weitgehend aufzusaugen.

Aber auch in der FDP konnten Nazis wie der Jurist Achenbach ihre Karriere unbehindert fortsetzen. 1957 zog er in den Bundestag ein und verschleppte als Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags jahrelang die Ratifizierung des deutsch-französischen Überleitungsvertrages für Kriegsverbrecher. Einen Dämpfer bekam das „Wirken“ von Achenbach erst 1974, als Beate und Serge Klarsfeld seine Beteiligung an Deportationen nachweisen konnten.
In den 60er Jahren verlor der rechte Flügel der FDP an die sich neu formierende nationale Sammlungsbewegung, die sich als NPD rasch entwickelte, ohne letztlich erfolgreich zu sein. Teile davon fanden sich später mit  Dissidenten aus CSU, CDU und FDP bei der Partei „Die Republikaner“ wieder. Keine dieser rechten Parteien schaffte es in den Bundestag. Dies gelang erst der AfD, der sog. Alternative für Deutschland, die immer rascher ins faschistoide Fahrwasser abdriftet. Eine Auseinandersetzung mit der Rechtsentwicklung kann nur erfolgreich sein, wenn das gesamte bürgerliche Spektrum in die Analyse miteinbezogen wird.

Zurück zu Christian Lindner, dem Finanzminister und privat Porschefahrer (Dienstfahrzeug:Mercedes S500 e Plug-in-Hybrid ). Ob er sich je mit der Nazivergangenheit der FDP beschäftigt hat? Eher nicht. Ist ja alles vor seiner Zeit gewesen. Er und seine personelle Umgebung haben andere Prioritäten*. Sie wollen und werden weiterhin mit ihren Karren über deutsche Autobahnen brettern, weit jenseits von 130. Die deutsche Autoindustrie wird es ihnen danken.


* „Welche verkehrspolitischen Schwerpunkte würden Sie setzen?“
Christian Lindner: „Erstens müssen wir Straßen und Autobahnen nicht nur planen, sondern bauen. Zweitens überzeugt mich die Fixierung auf die Elektromobilität nicht, ich bin für Technologie-Offenheit. Drittens bin ich gegen die Diskriminierung des Diesel. Viertens: bitte keine Volkserziehung per generellem Tempolimit.“
(auto motor sport, 21.7.2017)

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Aus "An den Schwankenden"