"Veteranenkreuz"
"Veteranenkreuz"

Deutschland müsse lt. Militärminister Boris Pistorius (SPD) in fünf Jahren, d.h. bis 2029 „kriegstüchtig“ werden. Er formulierte es im Oktober vergangenen Jahres so: „Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte, und das heißt, wir müssen kriegstüchtig werden, wir müssen wehrhaft sein und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen.“ Der Begriff der Kriegstüchtigkeit wurde hierzulande bis vor kurzem nicht verwendet, vermutlich wegen der besonderen deutschen Geschichte. Warum aber kriegstüchtig in fünf Jahren? Diese Frage konnte Pistorius bisher nicht plausibel beantworten. Möglicherweise geht er von einem Zeitraum aus, der sich bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode erstreckt. Wie wird man nun kriegstüchtig? Dazu sind einzelne Schritte bzw. Maßnahmen notwendig, die in ihrer Gesamtheit zu einer neuen Ausgangslage führen. 

Im Zentrum steht der Umbau der Bundeswehr. Er soll dem Anspruch einer Führungsnation in Europa gerecht werden. Damit aber der Umbau der Bundeswehr gelingen kann, muss dieser extrem kostenintensive Prozess von der Gesellschaft mehrheitlich akzeptiert werden. Dafür sind die Voraussetzungen nicht ungünstig. Schließlich ist Minister Pistorius lt. Umfragen seit längerem der beliebteste Politiker des Landes. Außerdem ist das Feindbild („der Russe“ und „der Chinese“) seit über 100 Jahren fest im Bewusstsein der Bevölkerung verankert. Und auf den Großteil der Medien (vor allem der Leitmedien) ist Verlass.

Andererseits will aber die Mehrheit der Bevölkerung (noch) keinen Krieg. Auch hat der Ruf der Bundeswehr über die Jahrzehnte gelitten. Soldaten sind nicht gerade die Helden der Nation. Zusätzlich drückt das Gejammere über eine angeblich kaputt gesparte Truppe, auf die Stimmung. Und das müsse sich ändern, davon ist auch die absolute Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag überzeugt. Man hat sich inzwischen ein ganzes Bündel an Maßnahmen überlegt, um der „Misere“ abzuhelfen. Manche eher kostenintensiv, andere mehr symbolisch, die den Haushalt kaum belasten. Auf zwei davon will ich im Folgenden näher eingehen: Die schrittweise Reaktivierung des allgemeinen Kriegsdienstes und die Einführung des Veteranentages.

Mehr Rekruten für die Bundeswehr

Die Bundeswehr verfügte im vergangenen Jahr über 181500 Soldaten (Sammelbegriff). Angestrebt ist langfristig eine Personalstärke von 460.000. Davon 200.000 Aktive, der Rest als Reserve. Wenn es nach den Hardlinern in den Bundestagsfraktionen, ginge, würde die 2011 ausgesetzte Wehrpflicht für alle sofort wieder in Kraft gesetzt. Es gibt aber aktuell nur Kapazitäten für eine Ausbildung von 5-7000 Rekruten jährlich. Davon ausgehend schlägt Pistorius ein abgestuftes Konzept auf freiwilliger Basis vor. Das sieht dann so aus: Da nach Artikel 12a Grundgesetz keine Frauen verpflichtet werden können, erhalten alle 18-Jährigen einen Fragebogen zur Wehrerfassung. Männer müssen diesen ausgefüllt zurücksenden, Frauen auf freiwilliger Basis. Auf der Grundlage dieser ausgefüllten Fragebögen und nach einer Musterung, wählt die Bundeswehr geeignete Kandidaten und Kandidatinnen aus.

Im ersten Jahr könnten das lt. Ministerium etwa 5000 sein, die einer Ausbildung zugeführt würden. Die Zahl würde in der Folgezeit „jährlich geprüft“. Das Ministerium rechnet für diese Maßnahme mit Mehrkosten von etwa 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Die Dauer des Wehrdienstes soll zwischen 6 Monaten und (freiwillig) bis zu 17 Monaten betragen. Eine Pflicht zur Ableistung des Wehrdienstes ist lt. Pistorius Konzept vorläufig nicht vorgesehen. Gegen die Pläne des Ministers stellen sich im Bundestag nur die Gruppen von Die Linke und Bündnis Sahra Wagenknecht. Ob das vorgestellte Konzept bis zur Bundestagswahl noch realisiert wird, ist abzuwarten, da die Konflikte in der sog. Ampelkoalition weiterhin, v. a. in Haushaltsfragen, virulent sind und bleiben dürften. Eine neue Bundesregierung unter der Federführung von CDU und CSU wird, wie im Grundsatzprogramm vereinbart, auf ein „verpflichtendes Gesellschaftsjahr“ hin orientieren.

...dazu noch einen Ehrentag für alle „Veteranen“

Krieger- und Reservistenkameradschaften bzw. -vereine gibt es im Lande immer weniger. Die „Krieger“, die den 2. Weltkrieg überlebt haben, sind inzwischen verstorben. Man hat sich am Grab von ihnen mit Böllerschüssen verabschiedet. SZ vom 28.12,1987 „Kein Ehrensalut für Kriegsdienstverweigerer Die Tradition stirbt, sehr zum Leidwesen derer, die immer noch kriegerischen Denkmustern verhaftet sind. Und in Zeiten der Aufrüstung geht‘s nicht zuletzt um ideologische Begleitung. Daher hat die Bundeswehr begonnen, eine Veteranenkultur zu entwickeln, welche die Verflechtung zwischen Bundeswehr und Gesellschaft weiter verstärken soll. Aber was sind Veteranen? Um die Deutungshoheit gab‘s in den vergangenen Jahren einen heftigen Streit. Für die einen konnten Veteranen nur diejenigen sein, die schon feindlichem Feuer ausgesetzt waren, also Kriegsteilnehmer. Andere wollten darunter alle ehemaligen Soldaten einbeziehen. Durchgesetzt haben sich letztere. Und so dürfen jetzt alle ehemaligen Soldaten der Bundeswehr einen Tag der Veteranen „feiern“ und stolz ein Abzeichen, das dem Eisernen Kreuz der reichsdeutschen Wehrmacht ähnlich ist, an der zivilen Kleidung tragen.

Es soll sich um einen Personenkreis von ca. 10 Millionen handeln. Dabei gibt es zwei Probleme: Beim Tag des Veteranen hat man sich den 15. Juni herausgepickt. Doch wie soll der Tag begangen werden? Ein Weißwurstessen mit Freibier und eine Hüpfburg für das künftige Kanonenfutter? Etwa 20 Veranstaltungen soll es vor kurzem zum 1. „Ehrentag“ gegeben haben, kaum jemand hat etwas davon mitbekommen. Das zweite Problem betrifft das Abzeichen in Blech. Das muss beantragt werden. Wer weiß das schon bzw. will es beantragen, um es zu tragen? Der Verfasser dieses Artikels hat es beantragt, weil er testen wollte, ob es ein Gelöbnisverweigerer auch bekäme. Was ist ein Gelöbnisverweigerer? Das Gelöbnis beendet die dreimonatige Grundausbildung des Wehrpflichtigen. In §9 des Soldatengesetzes ist die Gelöbnisformel festgelegt: "Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen." Für einen nicht anerkannten Kriegsdienstverweigerer kam diese Verpflichtung nicht infrage. Tatsächlich wurde das Abzeichen mit einem freundlichen Begleitschreiben zugestellt.

SZ vom 28.12.87: „Kein Ehrensalut für Kriegsdienstverweigerer"
SZ vom 28.12.87: „Kein Ehrensalut für Kriegsdienstverweigerer"

Die Einführung eines Veteranentag ist ein Baustein unter vielen zu einer fortschreitenden Militarisierung mit dem Ziel der Erlangung der Kriegstüchtigkeit. Es stellt sich die Frage: Warum soll die Tätigkeit eines Soldaten bzw. einer Soldatin ehrenwürdiger sein als eine Tätigkeit im Gesundheitssystem? Da war die Diskussion während der Coronapandemie schon weiter. Wir vergessen zu schnell. Gerade noch kam die Meldung, dass die BRD für das laufende Jahr das von der NATO vorgegebene Zweiprozentziel (bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt) übertrifft. In Zahlen ausgedrückt etwa 90 Milliarden €. Muss man das noch kommentieren?

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"Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen."

Theodor W. Adorno