Der wachsende Zuspruch für die AfD treibt zunehmend auch den etablierten Parteien die Sorgenfalten auf die Stirn. Laut Umfragen käme sie aktuell bei Wahlen deutschlandweit auf 19% und in manchen Regionen oder Städten ist sie bereits stärkste Kraft. In dem kleinen thüringischen Landkreis Sonneberg z.B. stellt sie seit Kurzem ihren ersten Landrat. Ob dieser Erfolg zum Meilenstein eines weiteren Aufstiegs der Gesamtpartei AfD wird, muss sich zeigen. Sicher aber ist, dass er erstmal dem thüringischen Landesverband und damit dem faschistischen Flügel in der AfD den Rücken stärkt.

Dass für nationalistisch-faschistische Parteien auch im Europa des 21 Jahrhunderts noch nicht bei 19% und einzelnen Landratsposten Schluss sein muss, sieht man in Italien, wo die faschistischen Fratelli d‘Italia die Regierung anführen und in Frankreich, wo die Präsidentschaftskandidatin des Rassemblement National, Marine Le Pen, letztes Jahr in der Stichwahl bereits über 40% der Stimmen bekam und große Chancen hat, 2027 französische Präsidentin zu werden.

Steht in Deutschland eine „Brandmauer“?

Im Bewusstsein der historischen Verbrechen des deutschen NS-Regimes und seiner faschistischen Verbündeten  gibt es hierzulande einen breiten Konsens von links bis konservativ, dass ein Widererstarken nazistischer oder faschistischer Tendenzen unbedingt verhindert werden muss. Sinnbildlich für die Abwehrstrategie steht die vielbemühte „Brandmauer“: Eine von allen nicht-faschistischen Parteien und Organisationen gestützte Barriere der Nicht-Zusammenarbeit, die das Überspringen des faschistischen Feuers auf die (demokratische) Mehrheitsgesellschaft verhindern soll.

Aber dieses statische Bild mit den Zuordnungen nach hüben und drüben passt nicht so recht zur Wirklichkeit: Zwar hat CDU-Merz nach besagter Landtagswahl in Sonneberg auch künftig jede Zusammenarbeit mit der AFD ausgeschlossen, aber in vielen Gemeinden und Landkreisen findet diese bereits statt und laut jüngsten Umfragen sind 31% der CDU-Anhänger:innen gegen die „Brandmauer“.

Wer einen Blick durch die also von unten her schon löchrige Mauer wagt erkennt drüben viele ehemalige Mitglieder der CDU, CSU und auch anderer Parteien. Sie haben sich einst wegen eines angeblichen Linkskurses von Merkel oder mit anderen seltsamen Begründungen eine neue Heimat jenseits der Mauer gesucht. Ihre Weltbilder und politische Grundüberzeugungen haben sie dabei kaum korrigieren müssen. Sie wurden oder haben sich nur outgesourcet und finden sich jetzt allesamt in einer Partei wieder, die sich hauptsächlich durch ihren faschistischen Flügel von anderen konservativ-liberalen Parteien unterscheidet. Dies ist sicher keine Kleinigkeit, verdeckt aber oft die große inhaltliche Schnittmenge , die die AfD mit anderen bürgerlichen Parteien - von CSU bis Grüne - hat:
So treten sie alle für die bürgerlich-kapitalistische Grundordnung ein, für permanentes Wachstum, Konkurrenz, die sogenannte Leistungsgesellschaft und schnelle Digitalisierung.  Sie alle wollen Deutschland militärisch weiter aufrüsten und damit auch die NATO stärken. Die EU ist ihnen allen der Garant für ein erfolgreiches Deutschland, ihre Abschottung an den Außengrenzen gegen ungewollte Einwanderungen sind sie bereit zu verschärfen. Dagegen begrüßen sie alle diejenige Einwanderung, die Deutschland nutzt und setzen sich für selektive und an den Interessen Deutschlands orientierte Zuwanderung nur qualifizierter Menschen aus anderen Gesellschaften ein. Sie alle möchten, dass Deutschland „Weltmarktführer“ ist, CDU/CSU und SPD denken dabei zuerst an die Autoindustrie, die Grünen an Klimaschutztechnologien und Freien Wählern und FDP ist auch beides recht.

Alles also nur eine Frage der Zeit, dass sich zuerst CDU/CSU und dann vllt auch andere von der „Brandmauer“ verabschieden? Eher nicht,  denn der aktuell starke faschistische Flügel in der AfD bleibt erstmal eine entscheidende Hürde. Sich mit Faschisten wie Höcke und Co. gemeinsam vor der Kamera zu zeigen, bei Parlamentsbeschlüssen abzustimmen oder gar mit ihnen Koalitionsgespräche zu führen zöge wohl eine immense internationale Empörung und jede Menge politischen Schaden nach sich, sowohl für die Partei wie auch die verantwortlichen Personen. Dieses Wagnis möchte so leicht niemand aus der Führungsebene der CDU/CSU eingehen.

Zwar drohen die globalen Verhältnisse sich weiter zu verschärfen und die Lage auch in Deutschland weiter aufzuwühlen, politisch wie ökonomisch. Aber solange die Ampelregierung bereit und fähig ist, den Wirtschaftsstandort Deutschland für Kapitaleigner:innen profitabel zu halten, den NATO-Aufrüstungskurs mitzutragen und die Festung Europa gegen die steigende Zahl der Schutz  und Perspektive Suchenden abzuschirmen (siehe dieser medico- Artikel) besteht für die Eliten hierzulande keine Notwendigkeit, ein rechtes Regierungsbündis aus CDU/CSU/AfD anzustreben.

Das bedeutet jedoch nicht, dass es keine „Rechtsentwicklung“ gibt. Denn die öffentlichen politischen Diskurse verschieben sich laufend, insbesondere in Krisenzeiten wie heute. Und da v.a. die Konflikte in und um die Linkspartei derzeit verhindern, dass es eine für alle wahrnehmbare kritische linke Stimme zu Aufrüstung und allgemeiner Teuerung und damit ein fortschrittliches alternatives Protestangebot für Unzufriedene und Besorgte gibt, setzen vor allem konservativ-nationale, also rechte Stimmen die Akzente. Ein besonders abstossendes wie markantes Beispiel war die Erdinger „Heizhammer“-Kundgebung, bei der es vordergründig um das geplante Heizungsgesetz der Ampel ging. Die größte Begeisterung brandete aber stets dann auf, wenn es von der Bühne gegen das Gendern und die Grünen ging. Ihren absoluten Tiefpunkt erreichte die von der reaktionären Komikerin Gruber gepuschte Veranstaltung, als der Freie Wähler-Chef, bayerische Wirtschaftsminister und stellvertretende Ministerpräsident Aiwanger einen erneuten Beweis seiner politischen Unterbelichtung ins Mikro plärrte: „Wir werden jeden Tag mehr, weil wir die Mehrheit sind und jetzt ist der Punkt erreicht, wo endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss und denen in Berlin sagen, ihr habt wohl den Arsch offen da oben“.

Der CSU gefiel das gar nicht: Erstens dass sich ihr Koalitionspartner wie ein niederbayerischer Trump aufführt und zweitens dass der Ministerpräsident höchstpersönlich auf derselben Veranstaltung von Tausenden ausgebuht und -gepfiffen wurde, wo er doch glaubte, in der CSU-Bastion Erding ein Heimspiel gegen die Politik der Ampel zu bestreiten.

Mit einem am 30.6. vorgestellten „10-Punkte-Plan“ wollen CDU/CSU nun schwankenden Wähler:innen vermitteln, dass die von der AfD vertretenen Forderungen und Gemütslagen auch bei den Christdemokraten zu haben sind: „Klimaschutz statt Klimakleber“, „Fachkräftezuwanderung statt unkontrollierte Migration“ und „Null-Toleranz gegenüber Kriminellen“ lauten drei der zehn Überschriften. Immer wieder werden in dem Papier Bevormundung, Moralismus, ein angebliches ‚Heizungsverbot‘ und allgemein „grüne Ideologie“ angeprangert. Ob die geneigten AfD-Wähler:innen sich davon beeindrucken lassen? Wohl eher nicht.

Wenn wir der Rechtsentwicklung Wirksames entgegensetzen wollen, dürfen wir nicht eine „Brandmauer“ gegen die AFD in den Mittelpunkt stellen, sondern müssen eine eigene kritische Erzählung zu den Problemen unserer Zeit formulieren und auf dieser ein politisches Projekt gründen, dem jede:r sich anschließen kann. Kernstück dabei muss sein, das oft zu hörende Lamentieren über „die-da-oben“ in ein Verständnis vom Klassengegensatz im Kapitalismus zu wandeln, der für die Krisen und damit die Ängste und Sorgen so vieler Menschen verantwortlich ist. Wer dies in seiner globalen Dimension verstanden hat, ist bestens vor Vaterländerei und anderem rechten Schmarrn geschützt.

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AGI Arbeitstreffen
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"Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?"

Bertolt Brecht

Aus "Lob der Dialektik"