Redebeitrag auf der Kundgebung am 1.Mai in Dorfen

Drei Themen in zehn Minuten. Ein schwieriges Unterfangen, das nur Stichpunkte liefern kann und zu weiterer Diskussion anregen soll. Wir blicken jetzt auf fast neun Jahre Krieg in der Ukraine. Sieben Jahre Bürgerkrieg im Donbass mit etwa 14 000 Toten und dann der völkerrechtswidrige Einmarsch der russischen Truppen am 24. Februar 2022. Ein Ende dieses furchtbaren Krieges ist nicht in Sicht. Auch ein Waffenstillstand bzw. Friedensverhandlungen sind in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Ganz im Gegenteil. Die russischen Streitkräfte haben sich an der Front eingegraben. Russland will die besetzten Gebiete im Osten und Süden der Ukraine nicht aufgeben. Die ukrainische Führung will alle besetzten Gebiete einschließlich der Krim mit Unterstützung der NATO zurückerobern.

Der Philosoph und Publizist Hauke Ritz kommentiert den aktuellen Zustand so:„Man hat den Eindruck, mir geht es jedenfalls so, dass beide Seiten den Entschluss gefasst haben, bis zum Ende das durchzuziehen, bis zum Äußersten zu gehen, nicht nachzugeben. Und wenn beide Seiten das so sehen, dann kann es wirklich gefährlich werden.“ Beidseitig der etwa 1000 km Frontlinie sterben - vorsichtig geschätzt - jeden Tag Hunderte Soldaten, Tendenz steigend. Auch Zivilisten kommen durch Bomben und Raketen ums Leben. Es ist die Rede von einem Abnutzungskrieg, welch ein perverser Begriff. Wie soll das alles enden? Hochgerüstete Armeen, das lehren uns die beiden Weltkriege, können das gegenseitige Abschlachten lange durchhalten. Manches erinnert an die Situation während des 1. Weltkriegs.

Der Münchner Jurist Karl Rosner, der 1916 vor Verdun lag, schrieb in seinem Tagebuch unter dem 11. Juni: „Der Krieg ist die grausamste Gewaltanwendung und zwar nicht nur gegenüber dem Partner, sondern gegenüber den eigenen Soldaten. Er ist die rücksichtsloseste Despotie gegen wehrlos gemachte Massen, denen die Verfügung über ihr eigenes Leben entzogen ist… Und diese Massen wissen nicht, ob sie für Recht oder Unrecht kämpfen. Sie haben keinen Einblick in die geheimen Machenschaften der Diplomatie und können nicht kontrollierend auftreten.“

Auch die deutsche Regierung hat sich entschieden, das ukrainische Militär im Rahmen der NATO mit immer mehr und tödlicheren Waffen aufzurüsten. Man ist sich hierzulande weitgehend einig, damit die sog. gute Seite, nämlich den angegriffenen Staat in die Lage zu versetzen, sich effektiver gegen den Angreifer verteidigen zu können. Aber müsste man nach dieser Logik nicht auch die Kurdinnen und Kurden im Norden Syriens mit Waffen gegen den NATO-Partner Türkei unterstützen? Die Türkei führt nämlich auch mit deutschen Waffen- Deutschland ist der zweitgrößte Waffenlieferant - seit Jahren einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Aber vielleicht gibt es gute Gründe, warum uns die Ukraine näher steht als andere angegriffene Länder? Könnte ja sein. Die Fakten sprechen jedoch eine andere Sprache. Dazu nur ein paar Beispiele aus gewerkschaftlicher Sicht: Es dürfte nicht verborgen geblieben sein, dass es sich bei der Ukraine ebenso wie bei Russland um Oligarchenstaaten handelt. In der Ukraine blüht das Geschäft mit der Leihmutterschaft. Gibt es ein aussagekräftigeres Indiz für die Armut großer Teile der Bevölkerung und damit für extreme gesellschaftliche Ungleichheit?

Gesetzlich hat man das Arbeitsrecht des Landes massiv zu Ungunsten der abhängig Beschäftigten verändert. Gewerkschaftshäuser, Erholungsheime und Sportanlagen des Ukrainischen Gewerkschaftsbundes FPU wurden letztes Jahr enteignet.

Rechtfertige ich, wenn ich das sage, den Angriff der Truppen der Russischen Föderation auf die Ukraine vom 24. Februar 2022? . Nichts liegt mir ferner. Wie käme ich auch dazu, einen Völkerrechtsbruch zu rechtfertigen. Aber wenn wir überall für eine solidarische Gesellschaft sind, muss auch ein kritischer Blick auf die Ukraine erlaubt sein. Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit angesichts der menschlichen Opfer, aber auch der vielen sozialen Probleme, der weltweiten Armut und der globalen Klimaerhitzung. Im Interesse der Menschheit muss es die erste Aufgabe sein, den Krieg in der Ukraine wie jeden Krieg so rasch wie möglich zu beenden. Dass eine so einfache wie einleuchtende Feststellung heute immer öfter auf wütenden Widerspruch der herrschenden Meinungsmacher stößt, zeigt, wie gefährlich weit die Kriegslogik bereits fortgeschritten ist. Es ist dringend an der Zeit, dass wir aus dieser militärischen Logik und der damit verbundenen Rüstungsspirale ausbrechen.

Über eines müssen wir uns im klaren sein. Die sog. Zeitenwende, ein gigantisches Aufrüstungsprogramm, wird unser Land verändern. Tiefe Einschnitte im Sozialhaushalt der kommenden Jahre werden Auswirkungen haben, die wir uns jetzt noch nicht vorstellen können. Auch die Erhöhung des Rüstungsetats von 50 auf 80 Milliarden mit steigender Tendenz (2 Prozent des BIP) und das zusätzliche sog. Sondervermögen von 100 Milliarden werden auf Dauer nicht reichen. Nicht zufällig wurde die geplante Kindergrundsicherung erst mal als nicht finanzierbar ad acta gelegt.

Kolleginnen und Kollegen, wer hat die Welt in den Jahren der Pandemie am Laufen gehalten? In der Coronakrise ist doch eins deutlich geworden: Nicht die Aktienmärkte haben die Welt am Laufen gehalten, nicht die Börse hat die Gesellschaft weiterfunktionieren lassen, nicht die Klasse der Schwätzer hat die Kastanien aus dem Feuer geholt. Es war die arbeitende Bevölkerung. Und genau diese wird auch bei uns die immensen Kosten des Krieges tragen. Wir merken es bereits. Die Inflation ist schon massiv angestiegen, Lebensmittelpreise gehen weitgehend ungebremst nach oben, Strom und Gaspreise gehen durch die Decke. Bauen wird unerschwinglich. Das sind nur ein paar Stichpunkte. Es gibt auch, wie bei jedem Krieg, Gewinner. Es sind nicht nur die Rüstungskonzerne, die vom Krieg profitieren. Kriegszeiten waren schon immer gute Zeiten für die großen Konzerne.

Was also tun?

Wir erinnern uns noch: „Am Montag, den 27. März, duftete es nach Generalstreik. Der Republik kam zu Bewusstsein, wie überlebenswichtig die Arbeit all der vielen abhängig Beschäftigten ist, die da einen Tag lang keinen Finger mehr rührten für alle anderen. Nicht auszudenken – jetzt aber besser vorstellbar –, was passieren könnte, würden die vielen begreifen, dass die Lage großer Teile ihrer selbst mit der Lage aller identisch ist, die da streiken. (Stefan Siegert in jW vom 17.4.23) Auch ein Blick nach Frankreich ist angesagt. Dort verteidigen die Lohnabhängigen ihre Rechte gegen eine Regierung, die ihnen zwei Jahre ihrer Lebenszeit klauen will und den Diebstahl auch noch als Rentenreform verkauft. Es kommen frostige Zeiten auf uns zu. Wir müssen uns darauf einstellen und die richtigen Konsequenzen ziehen. he

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"Es kommt nicht darauf an, was man aus uns gemacht hat, sondern darauf, was wir aus dem machen, was man aus uns gemacht hat."

Jean-Paul Sartre