In Deutschland lebt knapp die Hälfte der Bevölkerung zur Miete. Der Großteil der anderen Hälfte lebt im eigenen Haus, der kleinere Teil, etwa 10% der Bevölkerung, in einer Eigentumswohnung. Weil Miet- und Grundstückspreise in vielen Ballungsräumen und Regionen stark angestiegen sind und weiter steigen, haben viele Millionen Menschen hierzulande ein Problem mit den Kosten für‘s Wohnen: Die monatliche Miete oder die Rate für den Haus- oder Wohnungskredit verschlingen einen immer größeren Teil des Einkommens. Das viele mühsam erarbeitete Geld, das Mieter*innen und Wohneigentum-Käufer*innen Monat für Monat und Jahr für Jahr bezahlen, fließt häufig in die Kassen profitorientierter Wohnbaukonzerne, Immobilienfonds, Banken oder regionaler Immobilienhaie und vergrößert dort stetig deren Kapital und gesellschaftliche Macht.
Die neoliberale Verstärkung marktwirtschaftlicher Mechanismen auf dem Wohn- und Immobilienmarkt in den letzten Jahrzehnten führt den Klassencharakter unserer Gesellschaft anschaulich und zugleich erschreckend vor Augen: Wehe denen, die ihr Wohnen aus eigener Arbeit finanzieren müssen. Wird das Geld durch Mieterhöhung, Arbeitsplatzverlust oder Kurzarbeit knapp drohen Kündigung und Zwangsumzug oder Überschuldung bis hin zur Zwangsversteigerung. Und wohl denen, die mehr Immobilien besitzen als sie selbst bewohnen: Wer nur wenige Wohnungen zu marktüblichen Preisen vermieten kann, braucht schon nicht mehr arbeiten gehen. Wer einen oder mehrere Wohnblöcke sein eigen nennt, wird von seinem Steuerberater alle paar Jahre zum Kauf eines weiteren ermuntert. Und wer viele, viele tausend Wohnungen besitzt, der kann mit einer schonungslosen Auspressung seiner Mieter*innen sogar Milliarden machen - jedes Jahr!
Die Immobilien-Krake Deutsche Wohnen SE besitzt z.B. 155000 Wohnungen, v.a. in Berlin, und ca. 3000 Gewerbeimmobilien. Seit 2015 hat sich ihr Aktienwert verdoppelt und 2020 konnte der Jahresgewinn sogar auf 2,2 Mrd. € gesteigert werden.
Weil sie die teils drastischen Mieterhöhungen zugunsten der Deutsche-Wohnen-Aktionär*innen aber nicht hinnehmen wollten, starteten Berliner Mieter*innen 2018 die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. Das Vorhaben, Wohnungskonzerne mit mehr als 3000 Wohnungen in Berlin zu enteignen und die Wohnungen in einer gemeinnützigen Form mit akzeptablen Mieten und großem Mitspracherecht der Mieter*innen weiterzuführen ist mittlerweile weit mehr als nur ein schöner Traum: Für das geplante Volksbegehren im September sind 175.000 Unterschriften nötig, wovon bereits 130.000 gesammelt wurden. Bis 25. Juni sollten also die restlichen 45.000 problemlos zu schaffen sein und damit die Vergesellschaftung von 240.000 Mietwohnungen in Berlin in greifbare Nähe rücken. Ein Hoffnungsschimmer auch für all jene, die sich nach der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtswidrigkeit des Berliner Mietendeckels großer Mietnachforderungen seitens der Wohnbaukonzerne gegenübersehen.
Weil das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zum Mietendeckel nicht nur das Berliner Gesetz sondern jede ähnliche Regelung auf Landesebene verbot, ist nun der Kampf um einen bundesweiten Mietendeckel in den Fokus regionaler und lokaler Mieter*inneninitiativen gerückt (siehe mietenstopp.de). Sollte er tatsächlich eines Tages durchgesetzt werden können, wäre das sicher ein Erfolg und eine spürbare Entlastung für Millionen von Mieter*innen - an die durchschlagende Wirkung von Enteignung und Vergesellschaftung käme es aber nicht ansatzweise heran. Aber vielleicht reift ja entlang der Debatten und Konflikte um einen Mietendeckel ein Bewusstsein in der Bevölkerung dafür, dass sicheres, bezahlbares und gutes Wohnen für alle nur mit Wohnbeständen zu gewährleisten ist, die nicht den Profitinteressen von Konzernen, Fonds und anderen großen oder kleinen Immobilienhaien unterliegen, dass der Markt generell nicht die Lösung sondern das Problem ist.
- Wie in Berlin sollten wir deshalb versuchen, gegen das politische Immobilienkartell aus CSU, CDU, FDP und SPD-Mehrheit eine radikal andere Wohnungspolitik durchzusetzen, z.B. mit diesen Forderungen:
- der öffentliche, gemeinnützige und soziale Wohnungsbau muss den privaten Wohnungsmarkt dominieren.
- deshalb aktive und extensive Nutzung des kommunalen Vorkaufsrechts an Immobilien
- deshalb Aufbau gemeinnütziger Wohnbaugesellschaften, die auf kommunaler Ebene guten Wohnraum ohne Luxus aber mit günstigen Mieten schaffen.
- deshalb Unterstützung privater gemeinnütziger Wohnbauinitiativen
- deshalb Enteignung und Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen (z.B. ab 3000 Wohnungen, gerne auch welche mit weniger)