Am 23. Oktober dieses Jahres sind 10 von 38 Bundestagsabgeordnete aus der Partei DIE LINKE ausgetreten. In der jungen Welt kommentierte den Vorgang Nico Popp: „Die Linkspartei ist als sozialistische Partei, die sie, wenn nicht ihren Taten, so doch ihrem Programm nach war, gescheitert. Der Hauptteil der Strömung, die auf Oppositionspolitik festgelegt war, verlässt jetzt die Partei, in der nun der Durchmarsch der »progressiven« Liberalen droht.“ Niemand von uns kann diese Entwicklung begrüßen. Sie war allerdings vorhersehbar, da sich die Konflikte in der Partei immer mehr zuspitzten. Es nur an inhaltlichen Kontroversen festzumachen, würde zu kurz greifen. Inhalt und Form sind auch hier, wie so oft, nicht zu trennen.

Es ist von außen schwer zu beurteilen, wie im Detail die Schuld am Auseinandertriften zu verteilen ist. Vermutlich hat man sich auf beiden Seiten nichts geschenkt. Wahlergebnisse, vor allem, wenn sie negativ ausfallen, tragen nicht unwesentlich dazu bei, Schuldige aufzuspüren. Bei der Wahl 2021 kam DIE LINKE bei einem Ergebnis von 4,9 Prozent nur über drei Direktmandate in den Bundestag. Bei der Europawahl 2019 waren es bereits magere 5,5 Prozent gewesen. Anstatt eine zielführende Analyse der Ursachen vorzunehmen, geriet immer mehr Sahra Wagenknecht (SW) ins Visier derer, die inzwischen den Parteivorstand dominieren, den sog. Bewegungslinken. Die Auseinandersetzung verschärfte sich nicht zufällig an der Frage, wie sich die Partei im Krieg zwischen Russland und Ukraine positionieren soll. In Kriegszeiten sind dem Lavieren engere Grenzen gesetzt. Während der sog. Wagenknecht-Flügel für einen sofortigen Waffenstillstand und anschließende Friedensverhandlungen plädierte, und während die Vertreter dieser Position Waffenlieferungen strikt ablehnten und auch den Wirtschaftssanktionen gegen Russland nichts abgewinnen konnten, lehnte die Parteiführung eine eindeutige Festlegung ab. Für Außenstehende ist nicht klar erkennbar, wofür die Partei in dieser zentralen Frage tatsächlich steht. SW wurde für ihre Rede im Bundestag, in der sie sich gegen die Sanktionen aussprach, aus den eigenen Reihen hart attackiert. Als sie dann im Februar dieses Jahres zusammen mit der Herausgeberin der Zeitschrift EMMA, Alice Schwarzer, eine große Friedenskundgebung in Berlin organisierte, verschärfte sich der Konflikt mit der Partei noch einmal. So heißt es in der Austrittserklärung der zehn Abgeordneten: 

„Als Beispiel sei an den „Aufstand für den Frieden“ vom Februar 2023 erinnert. Es war die größte Friedenskundgebung der letzten knapp 20 Jahre. Zehntausende versammelten sich vor dem Brandenburger Tor. Obwohl, und gerade weil etwa die Hälfte der Bevölkerung den militärischen Kurs der Regierung ablehnt, hat sich das gesamte politische Establishment des Landes gegen die Kundgebung gewehrt und sie diffamiert. Statt uns in dieser Auseinandersetzung zu unterstützen, stand die Parteiführung der LINKEN Schulter an Schulter mit den anderen Parteien: Sie hat den Initiatoren der Kundgebung vorgeworfen, „rechtsoffen” zu sein und war so Stichwortgeber für Vorwürfe gegen uns.“

Was tun, wenn das Tischtuch zerschnitten ist?

Spätestens ab diesem Zeitpunkt war das Tischtuch innerhalb der Partei endgültig zerschnitten. Aber bereits zwei Jahre vorher hatte SW mit ihrem Buch „Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm für Gemeinsinn und Zusammenhalt“ die Debatte angeheizt. Der Kampf gegen den „Linksliberalismus“ nimmt in diesem Buch einen zentralen Stellenwert ein. Manche Sichtweisen in dem Buch kann ich nachvollziehen und unterstützen. Manche wiederum finde ich überhöht. Sei‘s drum. Wenn man nicht mehr miteinander kann, muss man sich trennen. Die Ausgetretenen wollen keinen Rosenkrieg, wie sie betonen. Nicht alle aus dem Parteivorstand sehen das auch so und treten nach. Um es an einem Beispiel festzumachen. Ates Gürpinar war bis 2022 Sprecher des Landesverbands Bayern. Seit 2021 sitzt er für die LINKE im Bundestag und ist einer der stellvertretenden Bundesvorsitzenden, also ein zentraler Funktionär. Der Frankfurter Rundschau sagte er unlängst: „Sahra Wagenknecht geht es nicht um linke politische Inhalte, sie will den Menschen nicht helfen. Sie sucht für sich selbst eine Plattform, zur Erzeugung persönlicher Reichweite für ihre Bücher und anderer Einnahmequellen. Das ist menschlich abgründig, aber der Prozess ist durch.“ Spricht man so über eine Genossin, die sich für die LINKE über Jahrzehnte abgerackert hat und immer mehr zu einem Gesicht der Partei wurde? Es ist dieser Umgang, der neben den  inhaltlichen Differenzen, die Partei aushöhlte. Gregor Gysi sprach schon vor elf Jahren auf dem Göttinger Parteitag vom „Hass“, der in der Fraktion herrsche. Eine linke Partei, in der die Mitglieder so miteinander umgehen, zerstört sich selbst.

Ob nun die Linkspartei diese Existenzkrise überleben wird, wissen wir nicht. Mitglieder der Partei werden auch in Zukunft auf Gemeinde- Kreis und Landesebene, mit Schwerpunkt im Osten, aktiv sein. Die Aussichten, 2025 wieder in den Bundestag einzuziehen, werden insgesamt eher pessimistisch eingeschätzt.

Wie gehts weiter?

Was wissen wir bisher über die Vorhaben derer, die sich als „Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit (BSW)“ in einem Verein zusammengetan haben? Man will in den kommenden Monaten die Gründung einer Partei vorbereiten. Der Antritt bei der Europawahl im Juni kommenden Jahres ist gesetzt. Ob daneben auch schon eine Beteiligung bei den drei Landtagswahlen im Osten realistisch ist, lassen sie offen. Bei der Aufnahme von Mitgliedern will man vorsichtig sein, da vermutlich politische Glücksritter in den Startlöchern stehen. Auch im Landkreis Erding gibt es solche Geisterfahrer, die ihr Interesse zumindest andeuten. Wen will die Gruppe ansprechen? Im fünfseitigen Manifest heißt es, viele Menschen hätten „das Vertrauen in den Staat verloren“ und fühlten sich „durch keine der vorhandenen Parteien mehr vertreten“. Die neue Partei solle „diesen Menschen wieder eine Stimme“ geben. Lt.Umfragen könnte diese Partei den Höhenflug der AfD stoppen. Aus dem Manifest ergibt sich, dass nicht die Absicht besteht, eine linke Klassenpartei zu gründen. Es geht eher um ein breites Mitte-Unten- Bündnis. Deshalb schließt das Manifest nicht überraschend: „Unser Ziel ist eine Gesellschaft, in der das Gemeinwohl höher steht als egoistische Interessen und in der nicht Trickser und Spieler gewinnen, sondern diejenigen, die sich anstrengen und gute, ehrliche und solide Arbeit leisten.“ Na, ja, politische Lyrik. Reißt nicht gerade vom Hocker. Ziel ist auch, eine repräsentative Leerstelle zu füllen, also eine klare Fixierung auf den Parlamentarismus. Davon kann man halten, was man will.

Schlechte Zeiten für hohe Ziele

Tatsache ist: Wir leben hierzulande in bewegungsarmen Zeiten. Der Organisationsgrad und das Klassenbewusstsein der Gewerkschaften ist nicht so, wie es wünschenswert wäre. Das ist bedauerlich, aber so schnell nicht zu ändern. Vor 40 Jahren waren gegen die Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles Hunderttausende auf den Straßen. Ein nicht unbeachtlicher Teil dieser Friedensbewegten wechselten mit den Grünen die Seite oder resignierten. Deshalb wäre zumindest eine Partei, die in der Friedensfrage klare Kante zeigt und die Interessen der abhängig Beschäftigten und der Abgehängten im Parlament stärker vertritt, ein Schritt vorwärts. Manche werden dagegen einwenden, dass das alles nicht reicht und doch nur Illusionen verbreitet werden. Aber was wäre mittelfristig die Lösung? Der von SW und anderen gestartete Versuch, die Repräsentationslücke zu füllen, kann misslingen oder im Parlamentsalltag versumpfen. Ja, das ist nicht auszuschließen. Aber ein Bundestag, in dem ab 2025 nur noch Parteien sitzen, die für Aufrüstung plädieren und dafür die abhängig Beschäftigten bluten lassen, wäre schwer erträglich. Resignation kann nicht die Antwort sein. Wir sind es den nachfolgenden Generationen schuldig, unseren Beitrag zu leisten.

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Aus "An den Schwankenden"